Nürnberger Nachrichten: »Stärke muss wachsen – Mädchentreff in St. Leonhard erhält Frauenförderpreis«

Sonderthema: Ein Mädchentreff mit Tradition

Der Mädchentreff e. V. in der Georgstraße in St. Leonhard bekommt am 6.März den 12. Nürnberger Frauenförderpreis verliehen. Die Mitarbeiterinnen freuen sich von Herzen über die Anerkennung. Noch glücklicher wären sie allerdings, wenn sie nicht seit 1985 alle Jahre wieder um ihre städtischen Zuschüsse bangen müssten.

Kräftiges Orange, rote Punkte, dunkles Rosa – die Wände des ehemaligen Schulhauses, Baujahr 1850, dessen kleine Zimmer in späteren Jahren der Stadtteil-Polizei als Wachstuben und Mini-Gefängnis dienten, erinnern an Pippi Langstrumpfs Villa Kunterbunt. Wer in den Mädchentreff kommt, kriegt gleich gute Laune.

Seit 1985 will der Verein in dem denkmalgeschützten Haus aber alles andere, als Mädchen ihren rosaroten Klischee-Bildern davon, wie ein Frauenleben auszusehen hat, zu überlassen. Im Gegenteil. In der Werkstatt im Erdgeschoss hängt Holzwerkzeug an der Wand, die Mädchen schweißen Stühle und Bänke zusammen oder reparieren Fahrräder.

»Uns ist es wichtig, dass Mädchen die sogenannten Männerberufe kennen lernen«, sagt Sozialpädagogin Annette Pilotek, die seit 17 Jahren im Treff arbeitet. Eine Schreinerin kommt ins Haus, damit sich die Mädchen mal an der Säge ausprobieren. Eine Biologin begibt sich in den Osterferien mit den Mädchen auf die Fährte des Osterhasen. Eine Bühnenbildnerin hat mit den Mädchen Zimmer des Treffs gestaltet.

Die Mädchen kommen ab der ersten Klasse. Viele stammen aus der Türkei, aus den GUS-Ländern oder aus Afrika. So mit zwölf Jahren wird das gemütliche Häuschen für die meisten uninteressant. »Dann treffen sie sich lieber mit Gleichaltrigen und posen durch den Stadtteil«, sagt Pilotek. Dafür, dass sie den Mädchen zumindest eine Zeit lang auf dem schwierigen Weg von der Schule zum Beruf helfen, bekommen die drei fest angestellten Sozialpädagoginnen des Mädchentreffs und ihre Unterstützerinnen am 6.März den Frauenförderpreis. Dotiert ist der mit 4000 Euro, die sofort vom laufenden Betrieb aufgezehrt werden, sagt Pilotek. Der städtische Zuschuss beläuft sich heuer auf 121500 Euro, »davon können wir drei Viertel der Ausgaben zahlen«, sagt die 44-Jährige. Mehr nicht.

Besser war die finanzielle Lage nur in den Jahren vor 1997. Dann trat plötzlich CSU-Stadträtin Kerstin Böhm auf und nahm die aus ihrer Sicht unnötige »feministische Mädchenarbeit« in die Mangel. »Als Folge wurde unser Etat um ein Viertel gekürzt, das hängt uns heute noch nach«, sagt Pilotek.

»Damals mussten wir das Ferienprogramm streichen und montags schließen.« Den Tag brauchten sie ab sofort, um Stiftungen anzupumpen und Spender zu gewinnen. Auch die NN-Aktion »Freude für alle« hat geholfen.

Hart sei es, ständig auf Geldsuche zu gehen, sagen die Sozialpädagoginnen. Noch härter sei es, dass sich der Stadtrat seit 1985 nicht ein Mal habe durchringen können, ihre Stellen für länger als nur ein Jahr abzusichern. »Wir bangen jeden Herbst, ob es uns im nächsten Jahr noch gibt«, sagt Pilotek.

Umso froher waren die Pädagoginnen, als vor eineinhalb Jahren die »Aktion Mensch« für drei Jahre insgesamt 200000 Euro zusagte. Eine PC-Fachfrau mit pädagogischer Zusatzausbildung konnte engagiert werden, die den Mädchen beibringt, wie man eine Homepage oder einen Film bastelt. »Wir konnten wieder mit dem Ferienprogramm beginnen« und das für den Treff von Anfang an typische Engagement für Ökotechnik ausbauen.

Spürbare Armut

Doch mit dem sozialen Wandel in St. Leonhard haben sich auch die Aufgaben des Treffs verändert. »Die Mädchen haben heute nicht mehr Probleme, weil sie Mädchen sind, sondern weil sie aus sozial schwachen Familien kommen«, sagt Pilotek. »Wir spüren die Armut der Familien.«

Dreimal in der Woche bietet der Treff einen Mittagsimbiss an und die Pädagoginnen helfen den Mädchen bei den Hausaufgaben. »Die Nachfrage ist enorm, auch weil Eltern ihren Töchtern gern eine günstige Mahlzeit zukommen lassen möchten«, sagt Pilotek. Der Imbiss plus Betreuung kostet zwölf Euro im Monat. Aber nur ein Drittel der Eltern könne dies zahlen.

In diesem Winter kam ein Mädchen ohne Strümpfe in den Treff, ein anderes hatte keine warme Jacke. »Wir sehen uns zum ersten Mal gezwungen, an bedürftige Mädchen Kleider auszugeben«, sagt Pilotek. Über Bekannte habe sie eine Jacke organisiert, es gehe aber eindeutig über die Möglichkeiten des Treffs, auch noch eine eigene Kleiderkammer einzurichten.

Freitags heißt es in der Villa Kunterbunt am Leonhardsplatz: »Runter vom Sofa«. Die Mädchen gehen gemeinsam schwimmen, eislaufen oder in den Tiergarten. Schlittschuhe oder Inliner können sie ausleihen, auch Badeanzüge liegen bereit, damit wirklich jedes Mädchen mitmachen kann. Viele kommen mit den Betreuerinnen zum ersten Mal raus aus dem Stadtteil, sehen die Lillachquelle oder den Pegnitzgrund.

Wenn Mädchen erzählen, dass sie daheim auf einer einfachen Matratze ohne ordentliches Bettzeug schlafen müssen, schaltet der Mädchentreff schon mal den Sozialdienst ein. »Wir machen viel mehr Elternarbeit als früher«, berichtet Pilotek. Sie und ihre Kolleginnen rufen in den Familien an, wenn ein Mädchen trotz Anmeldung nicht zu einem Kurs kommt. »Es kann nicht sein, dass Mädchen nur auf ihre kleineren Geschwister aufpassen müssen, sie brauchen Zeit für sich.«

Während des Ferienprogramms treffen die Mädchen aus dem Stadtteil oft auf Gleichaltrige aus Mittelstandsfamilien, die nicht hier wohnen, deren Eltern aber gern das Angebot in der schulfreien Zeit in Anspruch nehmen. Während die Mädchen aus St. Leonhard oft nicht die fünf Euro pro Woche aufbringen können für Ausflüge und Betreuung, »geben die Mittelstandsmütter schon mal mehr, weil sie es so günstig finden und uns unterstützen wollen«, sagt Pilotek.

Heißhunger am Mittag

Sie öffnet sich immer weiter, die Schere zwischen Arm und Reich. Viele Mädchen aus St. Leonhard kommen voller Heißhunger zum Mittagsimbiss. »Die Familien wissen einfach nicht, wie man mit frischem Gemüse günstig etwas Gesundes kochen kann«, bedauert Pilotek. Hier können das die Mädchen lernen – und sie tun es mit Begeisterung.

Die Pädagoginnen hoffen, dass auch ihr Treff von dem Förderprogramm »Soziale Stadt«, das heuer in St. Leonhard anläuft, profitiert. Seit Jahren schon möchten sie den Dachboden ausbauen, weil dem Treff ein Zimmer zum Herumtoben fehlt.

Ob sie die Mädchen tatsächlich dazu bringen, bei der Berufswahl nicht nur an Friseurin oder Arzthelferin, sondern auch an Schreinerin oder Fotografin zu denken – die Betreuerinnen führen darüber keine Statistik. Fest steht jedoch, dass auch im Mädchentreff die rosarote »Barbie-World« die am häufigsten angeklickte Seite im Internet ist. »Das können wir kaum beeinflussen«, sagt Pilotek. Und bereits Drittklässlerinnen unterhalten sich über Diäten. Mädchenarbeit bleibt also eine wichtige Aufgabe – auch in den nächsten 23 Jahren.

Ute Möller